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BREMER NACHRICHTEN / KURIER AM SONNTAG
S O N N T A G.
3 . M Ä R Z 2 0 1 3
Ehrung eines kritischen Geistes
Kultur- und Friedenspreis der
Villa Ichon geht in diesem Jahr an den Rechtsanwalt und Publizisten Rolf
Gössner
Mit dem Kultur- und Friedenspreis
der Villa Ichon ist gestern Rolf Gössner ausgezeichnet worden. Der Bremer
Rechtsanwalt und Publizist ist Vizepräsident der Internationalen Liga für
Menschenrechte und ist damit für sein langjähriges Engagement für die
Einhaltung der Grund- und Bürgerrechte geehrt worden. Die Jury würdigte damit
auch „Gössners kritische Studien über die umstrittene Arbeit des Verfassungsschutzes“.
FOTO: CHRISTINA KUHAUPT
Der promovierte Jurist Rolf Gössner ist
Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.
V O N
S I G R I D S C H U E R
Bremen. „Bleibe wild und gefährlich“,
diesen Rat gab Bernhard Docke seinem Anwaltskollegen Rolf Gössner mit auf den
Weg. Denn als „wild und gefährlich“ stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz
den Juristen und Publizisten ein, der 2007 zum stellvertretenden Richter am
Staatsgerichtshof in Bremen gewählt wurde. Fast 40 Jahre lang überwachte das Bundesamt
einen der profundesten und profiliertesten Kritiker der Tätigkeit des
Verfassungsschutzes. Das Bundesamt legte eine über 2 000 Seiten dicke
Personalakte über ihn an. Gestern wurde Gössner für sein langjähriges Engagement
für die Einhaltung der Grund- und Bürgerrechte mit dem Kultur- und
Friedenspreis der Villa Ichon für das Jahr 2013 ausgezeichnet. Der Preis ist
mit 5000 Euro dotiert.
Bernhard Docke, der wie Rolf Gössner aus der Anwaltsschule
von Heinrich Hannover stammt, hielt bei der gestrigen Preisverleihung die
Laudatio auf seinen Kollegen. Zum Schluss zitierte er den ehemaligen Hamburger
Innensenator Hartmuth Wrocklage, der den Verfassungsschutz mit folgenden Worten
gemahnt hatte, Rolf Gössner in Ruhe zu lassen: „Er ist ein verfassungstreuer Demokrat,
der mehr für die Wahrung der Freiheitsrechte des Grundgesetzes getan hat als
mancher Verfassungsschützer im öffentlichen Dienst.“ Das sah das Bundesverfassungsgericht
offenbar ähnlich, als es im Februar 2011 die Überwachung Gössners als
grundrechtswidrig verurteilte.
Der Anwalt hatte zuvor schon weitere große Verfahren gewonnen,
etwa gegen die Berufsverbote vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
und beim Großen Lauschangriff. „Ehren wir einen Menschen, der vier Jahrzehnte gegen
den Strom schwimmt, der wichtige Impulse und Denkanstöße setzt, ein Leben in
der Revolte, mit mutigen Ecken und Kanten gegen den Mainstream“, sagte Docke.
Er wies darauf hin, dass in den letzten 20 Jahren fast 150
Menschen in Deutschland aus Fremdenfeindlichkeit ermordet worden seien. „Der
Verfassungsschutz hat Hunderte V-Leute in der Neonaziszene finanziert, um zu erfahren,
was sich in der Szene tut. Der Verfassungsschutz hat ein Jahrzehnt nicht bemerkt,
dass eine ausländerhassende Neonazibande zehn Menschen gezielt getötet hat“, so
der Laudator. „Alle rechtzeitig warnenden Kassandra-Rufe von Rolf Gössner
wurden auf bittere Art von der Realität überholt.“
Über die
bezahlten V-Leute habe der Verfassungsschutz die zu beobachtenden Nazistrukturen
mitfinanziert und gegen polizeiliche Ermittlungen geschützt und gestärkt, so
die Überzeugung Gössners. Damit habe er sich selbst überflüssig gemacht,
ergänzte Docke. Er bezeichnete es gestern als einen Albtraum, dass die
Ermittlungsbehörden die Täter der von der NSU verübten Morde unter der trauernden
Verwandtschaft der Opfer gesucht haben. Rolf Gössner fordert seit Langem die
Abschaffung des Verfassungsschutzes. An dessen Stelle, so seine Forderung,
sollten öffentlich kontrollierbare Dokumentations- und Forschungszentren
gesetzt werden.
Der
Kabarettist Pago Balke umrahmte die Verleihung des Kultur- und Friedenspreises
der Villa Ichon mit „bösen Liedern“, wie etwa der „Alten Hexe“ von Georg Kreisler.