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Ehrung eines kritischen Geistes

Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon geht in diesem Jahr an den Rechtsanwalt und Publizisten Rolf Gössner

 

Mit dem Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon ist gestern Rolf Gössner ausgezeichnet worden. Der Bremer Rechtsanwalt und Publizist ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und ist damit für sein langjähriges Engagement für die Einhaltung der Grund- und Bürgerrechte geehrt worden. Die Jury würdigte damit auch „Gössners kritische Studien über die umstrittene Arbeit des Verfassungsschutzes“.

 

 FOTO: CHRISTINA KUHAUPT

Der promovierte Jurist Rolf Gössner ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.

 

V O N   S I G R I D   S C H U E R

 


Bremen. „Bleibe wild und gefährlich“, diesen Rat gab Bernhard Docke seinem Anwaltskollegen Rolf Gössner mit auf den Weg. Denn als „wild und gefährlich“ stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz den Juristen und Publizisten ein, der 2007 zum stellvertretenden Richter am Staatsgerichtshof in Bremen gewählt wurde. Fast 40 Jahre lang überwachte das Bundesamt einen der profundesten und profiliertesten Kritiker der Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Das Bundesamt legte eine über 2 000 Seiten dicke Personalakte über ihn an. Gestern wurde Gössner für sein langjähriges Engagement für die Einhaltung der Grund- und Bürgerrechte mit dem Kultur- und Friedenspreis der Villa­ Ichon für das Jahr 2013 ausgezeichnet. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert.

Bernhard Docke, der wie Rolf Gössner aus der Anwaltsschule von Heinrich Han­nover stammt, hielt bei der gestrigen Preisverleihung die Laudatio auf seinen Kollegen. Zum Schluss zitierte er den ehemaligen Hamburger Innensenator Hartmuth Wrocklage, der den Verfassungsschutz mit folgenden Worten gemahnt hatte, Rolf Gössner in Ruhe zu lassen: „Er ist ein verfassungstreuer De­mokrat, der mehr für die Wahrung der Freiheitsrechte des Grundgesetzes getan hat als mancher Verfassungsschützer im öffentlichen Dienst.“ Das sah das Bundesverfassungsgericht offenbar ähnlich, als es im Februar 2011 die Überwachung Gössners als grundrechtswidrig verurteilte.

Der Anwalt hatte zuvor schon weitere große Verfahren gewonnen, etwa gegen die Berufsverbote vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und beim Großen Lauschangriff. „Ehren wir einen Menschen, der vier Jahrzehnte gegen den Strom schwimmt, der wichtige Impulse und Denkanstöße setzt, ein Leben in der Revolte, mit mutigen Ecken und Kanten gegen den Mainstream“, sagte Docke.

Er wies darauf hin, dass in den letzten 20 Jahren fast 150 Menschen in Deutschland aus Fremdenfeindlichkeit ermordet worden seien. „Der Verfassungsschutz hat Hunderte V-Leute in der Neonaziszene finanziert, um zu erfahren, was sich in der Szene tut. Der Verfassungsschutz hat ein Jahrzehnt nicht bemerkt, dass eine ausländerhassende Neonazibande zehn Menschen gezielt getötet hat“, so der Laudator. „Alle rechtzeitig warnenden Kassandra-Rufe von Rolf Gössner wurden auf bittere Art von der Realität überholt.“

Über die bezahlten V-Leute habe der Verfassungsschutz die zu beobachtenden Nazistrukturen mitfinanziert und gegen polizeiliche Ermittlungen geschützt und gestärkt, so die Überzeugung Gössners. Damit habe er sich selbst überflüssig ge­macht, ergänzte Docke. Er bezeichnete es gestern als einen Albtraum, dass die Ermittlungsbehörden die Täter der von der NSU verübten Morde unter der trauernden Verwandtschaft der Opfer gesucht haben. Rolf Gössner fordert seit Langem die Abschaffung des Verfassungsschutzes. An dessen Stelle, so seine Forderung, sollten öffentlich kontrollierbare Dokumentations- und Forschungszentren gesetzt werden.

Der Kabarettist Pago Balke umrahmte die Verleihung des Kultur- und Friedenspreises der Villa Ichon mit „bösen Liedern“, wie etwa der „Alten Hexe“ von Georg Kreisler.